Ausstellung im Alten Rathaus in Wittenberg 2010

Eröffnungsrede – „Werkschau Kreis 34“
Ausstellung im Alten Rathaus in Wittenberg

von Rainer Lynen

am 2.10.2010
Meine sehr geehrten Herren Oberbürgermeister Naumann und Meyer,
liebe Vertreter der Partnerstädte, liebe Bürger aus Wittenberg, aus Göttingen und Bretten, die Sie uns hier heute die Ehre geben … – mir wurde vorgegeben, keinesfalls länger als zehn Minuten zu sprechen. Bitte fühlen Sie sich alle herzlich begrüßt, ausführlicher kann ich heute nicht begrüßen.

Zunächst einmal möchte ich uns Ihnen vorstellen. Wir sind künstlerisch in verschiedener Weise aktiv, mit Malerei, mit Skulpturen, Fotografien, Kollagen, neuerdings auch unter Zuhilfenahme von digitalen Medien. Unser gemeinnütziger Verein mit über 30 Mitgliedern hat zum einen das Ziel, den Mitgliedern aus Göttingen und Umgebung Ausstellungen ihrer Werke zu ermöglichen, und zum zweiten unterstützen wir die Aktivitäten und Veranstaltungen im Göttinger Künstlerhaus. Dort werden pro Jahr etwa 12 verschiedene Ausstellungen ausgerichtet, in aller Regel von zeitgenössischen, noch lebenden und ganz überwiegend jüngeren Künstlern. Einmal jährlich gibt es auch für den Kreis 34 die Möglichkeit einer Gruppenausstellung im Göttinger Künstlerhaus.

Der Kreis 34 ist im vorigen Jahr 40 Jahre alt geworden. Den Namen gab unserem Verein unser Gründervater Henry Hinsch. Der Name leitet sich ab von der ursprünglichen Postleitzahl von Göttingen. Früher, also vor 40 Jahren, waren wir auf dem Briefumschlag – 34 Göttingen. Der Fortschritt wollte es, dass unsere Postleitzahlen heute mit 37 anfangen, aber den Namen Kreis 34 haben wir behalten.

Gleichzeitig mit der größeren Gruppe des BBK Südniedersachsen sind wir Mitglied im Künstlerhausverein. Die BBK-Mitglieder verstehen sich mit ihrer Hochschulausbildung als Künstler von Beruf. Das ist bei uns anders. Wir haben oder hatten andere Berufe, Betriebswirte, Werbegestalter, Zahntechniker, Zahnärzte, Chemotechniker, Verwaltungsangestellte, Hausmeister, Hausfrauen, einen Forstwirt, zwei Ärzte, einen Pastor. Der Vorsitzende unseres Künstlerhausvereins nennt uns malwütig, unser Heimatblättchen führt uns als ‚ambitionierte Freizeitkünstler:‘

Wir sehen das nicht so. Wenn Sie unsere Ausstellung hier gesehen haben, können Sie vielleicht verstehen, dass wir uns mit dem Begriff Freizeitkünstler nicht ernst genommen fühlen. Für Henry Hinsch als Gründer des Kreises 34 war das Ziel von Anfang an, aus kunstinteressierten Laien zuletzt eben doch richtige Künstler werden zu lassen. Auf diesem Weg haben wir über lange Jahre nicht nur autodidaktisch sondern auch durch außeruniversitäre Weiterbildung einen weiten Weg hinter uns. Deshalb wagen wir uns mit unseren Werken an die Öffentlichkeit, und deshalb akzeptieren wir den Begriff Freizeitkünstler nicht.

In der Programmvorschau für die Besucher aus Göttingen wurde die hier gleichzeitig zu sehende Ausstellung von Graphiken zum Thema Christentum angekündigt. Große Namen, von Chagall über Dix, Beckmann, Picasso bis hin zu Beuys, und da habe ich mich gefragt, ob wir jetzt erschreckt sein sollen. Die waren ja auch alle mal jung, und die mussten sich damals, von denen lebt ja keiner mehr, die mussten sich auch eine zeitlang Bosheiten anhören, was sie sich denn dabei gedacht hätten, Pferde am Himmel, oder diese kubistische Zerlegung in Picassos Portraits, z.B. des Kunsthändlers Ambroise Vollard.

Ich habe dann beschlossen, dass wir uns nicht fürchten werden, dass es Menschen auch einfach keinen Spaß machen kann, immer dasselbe vorgesetzt zu bekommen, und darum trauen wir uns mit unseren Werken hierher nach Wittenberg, weil wir uns vorstellen können, dass auch das Ausstellungspublikum hier mal Lust auf was anderes, auf was neues hat. Von Künstlern erwartet man, dass sie Neues wagen, und vom Publikum, dass es bereit ist, sich auf Neues einzulassen.

Ich habe eben gesagt, mit welchen Berufen wir unser Geld verdient haben. Danach sind wir schon von unserer beruflichen Herkunft her ganz verschiedene Leute. Wenn man in unserer Ausstellung genauer hinsieht, dann ist auch bei den Künstlern Heterogenität, eine ausgesprochene Individualität sichtbar. Das darf Sie nicht irritieren, das ist ganz normal. Wir sind eine Gruppe, und das ist hier eine Gruppenausstellung. Wir machen keine Vorschriften, was, womit oder wie zu malen oder zu arbeiten sein würde, wer gegenständlich arbeiten möchte, bitte schön, wer figürlich arbeiten will, soll er oder sie machen, wer lieber abstrakt arbeitet, kein Problem. Nur eins erlauben wir uns nicht: kopieren ist nicht erlaubt, auch nicht das Kopieren des Stils der berühmten Künstler, deren Graphiken man nebenan sehen kann.

Mit Wittenberg besucht der Kreis 34 die vierte Göttinger Partnerstadt mit einer Ausstellung, nach der polnischen Partnerstadt Thorn (2003), der französischen Partnerstadt Pau (2007), und der englischen Partnerstadt Cheltenham (2009). Unser Besuch in Wittenberg dieses Jahr hat aber einen sehr erfreulichen Rahmen, weil wir hier mit Ihnen etwas ganz Besonderes feiern können, nämlich ein Jubiläum der Vereinigung der beiden deutschen Staaten, und man kann betonen, dass wir nicht vereinigt wurden, sondern dass wir in freier Selbstbestimmung zueinander gefunden haben. Darüber hat kein Kaiser, König, Kanzler oder Präsident entschieden, das Volk wollte das so, und das musste ich hier auch einfach mal so sagen.

Lassen Sie mich abschließend bitte auch noch sagen, dass wir uns bewusst sind, dass wir uns in Wittenberg auf historischem Boden befinden. Von hier ist durch Martin Luther die Reformation ausgegangen, gefestigt durch Philipp Melanchton und beschützt vom Kurfürsten Friedrich dem Weisen als Landesherrn. Kürzlich war ich in Gotha und besuchte dort das Schloss Friedenstein. Dort ist Friedrich der Weise auf einem großen Wandgemälde dargestellt, und ich kann jetzt sagen, dass er genauso aussieht, wie Peter Ustinov ihn in dem Lutherfilm dargestellt hat. Menschen die etwas wagen wie Martin Luther sind selten, ich bewundere ihn. Ich finde, man kann nicht nach Wittenberg kommen, ohne etwas dazu zu sagen. Und natürlich bin ich auch glücklich darüber, dass man wieder von Göttingen nach Wittenberg fahren kann, ohne einen Pass vorzeigen zu müssen, und das gilt natürlich auch für die andere Richtung. Soviel zu Politik und Religion.

Zuletzt danke ich namens des Kreises 34 den Vertretern beider Städte, Göttingen und Wittenberg, für die Unterstützung, die uns in der Vorbereitung und für die Ausrichtung dieser Ausstellung gewährt wurde, vielen herzlichen Dank. Wir freuen uns auch, dass wir die Stadt Göttingen hier in dieser Weise vertreten dürfen.

An unserer Ausstellung wünsche ich Ihnen viel Freude, und sie ist dann jetzt eröffnet.

 

Fotos: Christiane Christen, Janina Fiorin, Dr. Rainer Lynen, Frank-Helge Steuer