Jahresausstellung 2004

Eröffnungsrede – zur Jahresausstellung 2004 des Kreis 34

von Rainer Lynen

am01.08.2004 im Künstlerhaus mit Galerie e.V., Göttingen

Liebe Besucher, liebe Gäste aus nah und fern, liebe Freunde und Freundinnen des Kreis 34

seien Sie herzlich willkommen zur Eröffnung unserer diesjährigen Jahresausstellung. Wir als Mitglieder des Kreis 34 sind gleichzeitig Mitglied im Künstlerhausverein und unterstützen mit unseren Beiträgen und durch Rat und Tat den Erhalt des Göttinger Künstlerhauses. Weil wir aber das Finanzielle aus eigenem Aufkommen gar nicht leisten könnten, sind wir der Stadt Göttingen, aber auch allen auf der Einladungskarte genannten Sponsoren, der Sparkasse Göttingen, der Volksbank Göttingen und der Deutschen Apotheker- und Ärztebank – für ihre Unterstützung sehr dankbar.
Nun aber zu uns als Künstlergruppe. In diesem Jahr ist der Kreis 34 tatsächlich 35 Jahre alt geworden, er wurde 1969 gegründet. Ich selbst bin ein noch eher junges Mitglied, ich bin erst im zehnten Jahr dabei, aber ich kann mir vorstellen, dass unter den hier Anwesenden durchaus Leute sind, die die Entwicklung des Kreis 34 länger und besser als ich verfolgt haben. Dabei muss ein gewisses Wohlwollen mit im Spiele sein, denn sonst wäre es hier heute nicht so voll. Den Eröffnungstermin mitten in den Sommerferien bedauern wir ein wenig. Wegen der Hauptreisezeit können auch von uns nicht alle aktiv an der Ausstellung Beteiligten heute hier anwesend sein.
Als Künstlervereinigung verfechten wir – entsprechend den Vorstellungen des Gründers Henry Hinsch – keine Doktrin. Jedes Mitglied hat die Freiheit, sich uneingeschränkt künstlerisch auszudrücken. Jeder von uns hat Kunsterziehung hinter sich, an Kursen und Kunstreisen teilgenommen, Museen besucht in Nah, aber auch in Fern und sehr Fern, um Techniken, Stile, Materialien und Entwicklungen kennenzulernen. Aber wir sind keine „Studierten“, keine Künstler mit akademischem Abschluss. Gerade solche Kunstschaffenden aber sollte der Kreis 34 immer schon zusammenführen.
Alle zwei Jahre wählen wir uns ein Thema für die Jahresausstellung, die verschiedensten Vorschläge standen wieder zur Diskussion, und gewählt wurde schon Anfang des Jahres das Thema Sparmaßnahmen. Der Stress ging schon damit los, wie man es schreibt. Ob das ß (esszett) erlaubt sein sollte, weil es sich bei Maßnahme um ein langes aaa handelt, und danach darf man ß schreiben. Der Internetkontakt zur Redaktion des Duden ergab dann aber, dass man die Schreibweise mit ss zwar vorziehen sollte, ß aber weiter erlaubt bleiben sollte. Also die Sparmaßnahmen sind Maßnahmen und keine Massnahmen. Ich will hier nicht näher darauf eingehen, warum gerade das deutsche ß im internationalen Schriftverkehr so hinderlich sein soll. So viele europäische Sprachen mit lateinischer Schrift haben ihre Besonderheiten, von Spanien über Frankreich, Skandinavien bis nach Polen, Tschechien und Serbien, wenn man das alles abschaffen wollte, das wäre natürlich für angelsächsische Programmierer eine ganz hervorragende Sparmaßnahme, man würde einige bits sparen…
Aber was hat uns denn nun geritten, Sparmaßnahmen zum Thema unserer Jahresausstellung zu machen. Nun, sparen ist einfach in aller Munde, seit Hans Eichel deutscher Finanzminister ist. Seitdem spart man einfach, überall, jeder spart,der Bund spart, die Länder sparen, die Kommunen sparen, die Wirtschaft spart, besonders gern wird Personal gespart, die Industrie spart, man spart durch fusionieren, die Synergien setzen Arbeitskräfte frei,d.h. auf die Straße, der kleine Mann spart dann natürlich auch, man spart Energie wo immer es geht, man fährt nicht mehr so schnell, man reist nicht mehr so weit, und man kauft nur noch billig, billig, billig, Geiz ist geil, das sagt der Unternehmer und das sagt der Kunde.
Und da haben wir eben beschlossen, sparsam mit unseren Ressourcen umzugehen. Unsere Ressourcen, das sind die Leinwände, die Formate, die Rahmen, die Farben, die ganze Ausstattung der Arbeiten, das drumherum, eben was Kunst ansprechend machen könnte, damit wurde gespart.
Es wurde aber auch nicht gerade das wertvollste Papier benutzt. So ist Zeitungs­papier – ob bedruckt oder auch nicht – nicht gerade ein wertvoller Rohstoff, und geduldig ist es auch noch. Und bevor man es weg wirft, da macht man eben noch eine Collage daraus. Entsprechende Collagen machen einen Teil der Ausstellung aus. Sabine Schäfer hat sehr sehenswerte Objekte entstehen lassen, indem sie in Zeitungsartikel hineinGouachen gemalt – und diese dann auf sonst eher wertlose Papier-Tragtaschen aufgebracht hat. Finde ich ganz toll.
Ja, und jeder hat sich doch auch schon mal gefragt, wohin nur mit den Drahtbügeln, die man so oft aus der chemischen Reinigung mit nach Hause gebracht hat. Daraus hat Marlies Wurthmann wunderschöne Drahtbügel-Metamorphosen entstehen lassen, und sie hat auch ohne Drahtbügel – mit sparsamsten Mitteln ansprechende Bilder entwickelt, die aus dieser Idee hervorgegangen sind.

Wo aber das Thema Sparmaßnahmen nicht mehr greift, das sind Skulpturen. Wer gelernt hat, Steine zu bearbeiten, der tut sich eben schwer mit Ton, Draht oder Pappmaschee. Das haben wir unseren bildhauerisch tätigen Mitgliedern erlassen. Dem Künstlerhausverein verdanken wir, dass drei Wochen lang die bildhauerische Steinbearbeitung im Innenhof des Künstlerhauses möglich wurde. Das im Sinne einer offenen Werkstatt gehandhabte Projekt lief in den vergangenen drei Wochen -mit vier Wochenenden. Nahezu 200 interessierte Gäste haben bei diesen Arbeiten hospitiert, und manche haben zugesagt, heute wiederzukommen. Die Aktion der offenen Werkstatt war ein Erfolg für das Künstlerhaus und eine Initiative, die allgemeines Interesse geweckt hat. Mancher Gast, besonders die Kinder, waren versucht, Hammer und Meißel selbst zu schwingen. – Für einige der heute ausgestellten Skulpturen muss ich allerdings hinzufügen, dass auch vier Wochen kontinuierlicher Arbeit nicht ausgereicht hätten, sie herzustellen. Dementsprechend sind denn auch die Preise mit dem Thema Sparmaßnahmen nicht mehr vereinbar.

Sparen, sparen, Sparsamkeit ist wohl zu loben, aber ist Sparen eine Tugend? Manchmal ist es eine Notwendigkeit, aber sparen wofür ? Sparen, nur um zu konsumieren, nur um über die Runden zu kommen, das kann es nicht sein. Wer spart, sollte auch hoffen wollen. Dazu gehört die Bereitschaft, im richtigen Moment Geld auszugeben, zu investieren, ja, etwas zu riskieren, Ideen zu realisieren. Wer nicht investiert, kann keine Gewinne machen, wer nicht wagt der nicht gewinnt. In diesem Sinne sind auch einige der hier gezeigten Arbeiten zu verstehen, es wurde nicht nur Fleiß, es wurde auch Zeit investiert und teures Material oder Werkzeug benutzt. Das Wort von Karl Valentin ist zwar inzwischen etwas abgegriffen, aber immer noch genauso wahr: Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit.
-Ich spare mir jetzt weitere Worte und eröffne hiermit die Ausstellung.