Jahresausstellung 2006

Kreis 34 – Vernissage 26.11.2006

Eröffnungsrede – zur Jahresausstellung 2006 des Kreis 34

von Rainer Lynen

am 26.11.2006 im Künstlerhaus mit Galerie e.V., Göttingen
Liebe Besucherinnen und Besucher, Gäste, Kunstinteressierte, Freundinnen und Freunde des Kreis 34, liebe Sponsorinnen und Sponsoren –

Ein Jahr ist wieder vergangen seit unserer letzten gemeinsamen Ausstellung im Göttinger Künstlerhaus. Interessierte haben vermutlich die eine oder andere Einzelausstellung von Mitgliedern aus unserer Gruppe besucht, und vielleicht ist auch aufgefallen, daß der Kreis 34 seit gut einem halben Jahr in Hardegsen, und zwar im Burgstall der Burg Hardeg ausstellt.

In jeweils zweijährigem Abstand wählen wir uns ein Thema, zu dem wir Arbeiten präsentieren wollen. In diesem Jahr war wieder ein Thema für unsere Ausstellung vorgegeben, und es lautete „Visionen“. Die ursprüngliche Begeisterung für dieses Thema, es wurde immerhin mehrheitlich gewählt, wich bald einer gewissen Ernüchterung, insofern als es uns abverlangte, der Welt, zumindest aber den Kunstinteressierten der Region weiszumachen, wir hätten eine Idee, wie alles besser werden könnte, oder was sonst für uns, für die Welt, Gutes oder Schlimmes zu erwarten wäre.
Das Internet bietet mit dem Wikipedia-Lexikon sehr brauchbare Definitionen für den Begriff „Vision“. Mir persönlich am besten gefällt, daß in der französischen Sprache Vision ganz schlicht – Traum – bedeutet. Nun, Träume gibt es viele, Wunschträume ebenso wie Albträume. Als Wunschtraum kann ich Ihnen die Arbeit von Friederike Hammer nennen – forever young – ewige Jugend, zu schön um wahr zu sein, oder die Arbeiten von Marlis Wurthmann mit dem Titel „Goldfieber“, dabei geht es um den Traum vom Sieg im sportlichen Wettkampf. Apokalyptische Albträume dagegen hat Frau Sablotzki-Weise auf die Leinwand gebannt. Visionär nennt Frank Helge Steuer seinen nostalgischen Rückblick auf die Schubladen im Gehirn, in denen frühere Idole schlummern aus Kindheit und Jugend, sei es Elvis Presley, Humphrey Bogart , Marilyn Monroe oder Donald Duck.

Es ist nicht schwer, für Visionen Beispiele aus Religion und Menschheitsgeschichte zu finden, da gibt es das Paradies ebenso wie Hölle und Apokalypse, das Monster wie den Engel, alle Menschen werden Brüder und den 11. September 2001. Auch in der Wissenschaft gibt es Visionen, z.B. über das Schicksal unseres Planeten oder des Universums, da redet man von schwarzen Löchern, von Supernovae, von Gravitationslinsen und Killer-Kometen. Es wird immer wieder die unbekannte Zukunft beschworen, auch im Film, mit der Frage: ist es Schicksal, ist es Fortuna, sind es unbekannte Kräfte, ist es die Allmacht Gottes oder sind wir es selbst, die die Zukunft gestalten oder verhindern?

Wir vom Kreis 34 stehen vor demselben Dilemma wie alle, die glauben, mit künstlerischen Mitteln – auch literarischen – sei es möglich, der Welt eine Richtung zum Besseren zu geben. Dieses Dilemma hat bereits zutreffend Günter Grass mit der Novelle „Das Treffen in Telgte“ abgehandelt. Künstler sind ein Völkchen für sich. Ihre Träume, Visionen, der sehnliche Wunsch nach einer besseren Welt, nach Frieden, Gerechtigkeit, Paradies, auch das scheint irgendwo durch in dieser Ausstellung.
Vision kommt aus dem lateinischen, von videre = sehen, hat also etwas mit Licht und mit Farbe zu tun, was in den fotografischen Arbeiten zum Ausdruck gebracht wird. Im religiös-philosophischen Sinne bleibt die Vision dem Einzelnen, dem Individuum als „inneres Bild“ reserviert, für die Umwelt schwer nachvollziehbar und immer, im Guten wie Schlimmen eine Projektion in die Zukunft.
Es gibt auch eher kommerzielle Fantasien, wie der Welt zum Besseren zu helfen sein könnte. So soll man denn glauben, daß mit brutalem Kapitalismus unter dem Mantel der Globalisierung mehr Gerechtigkeit in die Welt käme. Unter anderem definiert Wikipedia eine Vision auch als: die Motivation oder überzeugung, in eine Sache zu investieren. Das, vermute ich, ist dann die angelsächsische Variante. Einen Politiker kann man ganz schnell ab qualifizieren, wenn man behauptet, er habe keine Visionen. Also von mehr Gerechtigkeit sind wir noch weit entfernt, aber das kann kein Grund sein, die Suche danach aufzugeben, sondern wie Sysiphos den Stein immer wieder den Berg hinauf zu wälzen, damit er irgendwann oben liegen bleibt. Wir haben leider auch nicht das ultimative Angebot, wir können auch nicht versichern, daß sich alles richten ließe, damit keine Unzufriedenheit bleibt.
Lassen Sie uns trotzdem weitermachen, Visionen haben, lassen Sie uns unser Ding tun, auch wenn wir es nicht schaffen, die Perspektiven zu bieten, die auch andere zu bieten nicht in der Lage sind. Lassen Sie rein menschlich gesehen zu, daß wir mit unseren kleinen Visionen Schritte tun, die eine bessere Zukunft ahnen lassen. Im Sinne von „forever young“ – ewig jung – ernst ist das Leben und heiter die Kunst – eröffne ich die Jahresausstellung des Kreis 34 im Jahr 2006.